Nur funktional

Als ich Anfang bis Mitte zwanzig war, da hatte ich ein massives Problem damit, daß mich eigentlich niemand, auch nicht die engsten Freunde, wirklich zu kennen schien. Also ich meine so richtig, umfassend, ganz zu kennen. Jeder sah immer nur einen sehr begrenzten Ausschnitt meiner Persönlichkeit und nahm mich - so war zumindest mein Eindruck - nur in einer gewissen "Funktion" wahr: Für den einen war ich der Bassist in der Band, für den nächsten der Kerl mit der schweinelauten XT, für andere wieder der Computerfreak... aber niemand sah wirklich hinter diese nach außen sichtbaren Facetten und gab sich auch nur im Ansatz Mühe, vielleicht mal zum "Kern" vorzudringen.

Mit den Jahren habe ich mich dann damit abgefunden, denn ich glaube, daß diese Oberflächlichkeit der meisten Menschen einfach normal ist - das heißt natürlich immer noch nicht, daß ich das besonders schön finde, aber es ist eben einfach wie es ist, und man kann nun einmal die Menschen nicht ändern (zumal wir ja - leider - immer wieder feststellen, daß die 80%-Regel* eigentlich eher viel zu vorsichtig formuliert ist und 90 bis 95% dann schon eher realistisch erscheinen).

Heute weiß ich, daß ich eine handvoll Freunde habe die mich leidlich gut kennen. Bei einigen ist das kein Wunder (wenn man sich quasi sein ganzes Leben lang kennt und gemeinsam durch alle Höhen und Tiefen einer stürmischen Jugend gegangen ist, noch dazu beinahe exakt gleich alt ist, dann hat das schon beinahe etwas von Zwillingen), bei anderen, die ich noch nicht so lange kenne ist es einfach ihre Aufmerksamkeit und Intelligenz, die sie aus der großen Masse der Ignoranten, nur auf sich und ihren eigenen Vorteil bedachten Deppen, mit denen man es Tag für Tag zu tun hat angenehm herausstechen läßt.

Es stört mich nicht mehr, daß niemand mich hundertprozentig kennen kann, denn das ist schlicht unmöglich. Es reicht mir zu wissen, daß es ein paar Menschen gibt, bei denen ich mitten in der Nacht anrufen kann wenn ich ein Problem habe (was natürlich umgekehrt genauso gilt) und die mir zuhören und nicht so sehr in ihrer eigenen Welt leben, daß sie einen Tag später schon wieder vergessen haben, was ich eigentlich gesagt habe. Das nämlich macht für mich Freundschaft wirklich aus: Daß man sich mit dem Anderen auseinandersetzt und wenigstens versucht, ihn ansatzweise zu verstehen. Die Leute, die sich immer nur melden wenn sie irgendetwas von mir wollen, andererseits auf der einen Seite große Sprüche klopfen, daß sie einem ja helfen werden, wenn es dann darauf ankommt aber nie da sind, die können mir getrost gestohlen bleiben. Irgendwann schlägt die Waage einfach zu sehr nach einer Seite aus, ja im Extremfall kippt sie sogar einfach um.

* Mindestens 80% aller Menschen sind schlicht und einfach dumm
die hausmeisterin - 20. Jul, 20:41 - geändert 20. Jul, 23:02

Ich

kann Dir nur zustimmen!
Für Viele ist Schubladendenken eben bequemer, als sich mit dem Gegenüber auseinander zu setzen, geschweige denn, es unabhängig von den eigenen Wünschen wahrzunehmen.
In meinem Leben gibt es auch nur wenige Menschen, die sich wirklich die Mühe machen, mich verstehen zu wollen, obwohl ich (zugegebenermaßen) nicht gerade unkompliziert bin.
Meist werde auch ich primär in irgendeiner Funktion und dem eigenen Gusto entsprechend wahrgenommen:
Als Putzfrau, unbequeme Mieterin, hilfsbereite Nachbarin...
In letzter Zeit wird es mir immer wichtiger, daß ich mich selbst verstehe und akzeptiere, um mich vom Außen unabhängiger zu fühlen.
Apropo fühlen: Fühl`Dich doch mal ganz herzlich gedrückt von mir! :-))

romeomikezulu - 20. Jul, 21:10 - geändert 20. Jul, 21:10

Deppen gibt es immer wieder. ich hoffe nur stark, dass
ihre Verteilungshäufigkeit mit "min. 80%" stark überschätzt ist...;-)
Ich gebe mir Mühe, mich mit Menschen zu umgeben, die mir gut tun. Denen gegenüber versuche ich auch möglichst "ungeschminkt" und pur gegenüberzutreten, nicht immer mit wünschenswertem feedback, aber
- dafür ehrlich :-)

Einen Menschen zu 100% zu kennen, sollte man erst gar nicht versuchen -, man könnte Dinge entdecken, die besser verborgen bleiben wollen. Das finde ich aber gar nicht schlimm, Du drückst das schon ganz richtig aus:
Die Einen leidlich gut kennen.
Mehr muss, finde ich, gar nicht sein.

frank (Gast) - 20. Jul, 23:57 - geändert 20. Jul, 23:57

Das funktionale Wahrnehmen ist zunächst erst einmal nichts schlechtes, finde ich.
Es muss immer zuerst einen Henkel geben, an dem ich mich bereitwillig aufhänge, der es für mich wert macht, mich mit jemandem abzugeben.
Wenn man dann allerdings in diesem Stadium verharrt, dabei stehen bleibt oder es zu einer banalen Warenbeziehung wird, ist es meist den Schuss Pulver nicht wert, und sollte zügig beendet werden.
Meine Erfahrung ist die, Bekannte hat man viele, Freunde kann man an einer Hand abzählen und das ist gut so. Man kann seinen Freunden sonst schlicht nicht gerecht werden, denn der Tag hat eben nur 24 Stunden und man hat ja meistens noch anderes um die Ohren.

In meinem Leben gibt es auch nur wenige Menschen, die sich wirklich die Mühe machen, mich verstehen zu wollen, obwohl ich (zugegebenermaßen) nicht gerade unkompliziert bin.

Wer hat schon immer Lust sich zum eigenen Leben noch das komplizierte Ich eines anderen auf zu laden?
Kann man zwar in Ausnahmefällen machen, aber den Sinn des Lebens sehe ich darin nicht wirklich. ;-)

die hausmeisterin - 21. Jul, 03:26 - geändert 21. Jul, 03:26

So

kann man mich natürlich auch interpretieren.
Muss man aber nicht.
Also bitte: Ich erwarte doch von Niemanden, daß er/sie mich "auflädt" und auf dem eigenen Buckel durch die Gegend trägt!
Und: Ich persönlich halte Menschen grundsätzlich für "komplizierte" Wesen.
virtualmono - 21. Jul, 03:34 - geändert 21. Jul, 03:34

Ich bin eigentlich total unkompliziert (im Sinne von "pflegeleicht"), solange niemand versucht mir irgendwelche sinnbefreiten Vorschriften zu machen oder mir gar seinen Lebensrhythmus aufzwingen will oder ständig um den heißen Brei herumredet oder zu dumm für den Umgang mit Computern ist oder Musik als Lärm bezeichnet...
virtualmono - 21. Jul, 03:38 - geändert 21. Jul, 03:38

Kann man zwar in Ausnahmefällen machen, aber den Sinn des Lebens sehe ich darin nicht wirklich. ;-)

Mach' Dir nichts daraus - das liegt an Deinem Sternzeichen.
die hausmeisterin - 21. Jul, 19:42 - geändert 21. Jul, 19:42

An wessen Sternzeichen? :-))

frank (Gast) - 22. Jul, 00:24 - geändert 22. Jul, 00:24

Mach' Dir nichts daraus - das liegt an Deinem Sternzeichen.
Ich bin Widder 1 - Aries - die glauben nicht an Sternzeichen!
virtualmono - 22. Jul, 07:39 - geändert 22. Jul, 07:39

Ich bin Widder

Eben.

die glauben nicht an Sternzeichen!

q.e.d.

;-)

Muttern war Widder... vielleicht habe ich unter Anderem auch deshalb einProblem mit deren ausgeprägten Eigenschaften... Du bgehörst übrigens zu den wenigen Ausnahmen der April-Geborenen, die mir auf Dauer nicht fürchterlich auf den Sack gehen, das kannst Du durchaus als Auszeichnung verstanden wissen (ich sach nur z.B. M.G... dann weißt Du schon Bescheid...).
steppenhund - 21. Jul, 20:59 - geändert 21. Jul, 20:59

Ja, ja ...

Du sprichst mir aus der Seele. Allerdings traue ich mich gar nicht mehr, eine derartige Zusammenfassung niederzuschreiben. Du hast meiner Meinung nach recht, wenn Du meinst, dass 80% zu niedrig gegriffen ist.
Übrigens können auch "intelligente" Menschen in bestimmten Bereichen so dumm sein, dass ich sie zu den 95% zähle.
So hat ein wirklich guter und langjähriger Freund es vor seiner Pensionierung geschafft, sich mit allen seinen berufsbedingten Bekannten und Freunden so zu verscherzen, dass man glauben kann, dass er die Jahre in der Schule, wo er unterrichtet und geleitet hat, abschreiben kann. Nicht ganz, ein paar Schüler werden sich mit sehr positiven Gefühlen an ihn erinnern, weil er ein hervorragender Pädagoge war, engagiert und zukunftsorientiert.
Ich weiß nicht mehr, was in ihm vorgeht, denn mich ist er irgendwann auch so angegangen, dass ich keine Anstrengungen unternehme, etwas zu "kitten". Meine Frau meint, dass er "nicht verbittert" ist, ich glaube das schon.
Was ich aber für mich sehr positiv festgestellt habe, ist die Möglichkeit immer wieder mit neuen Personen zusammen zu kommen, manchmal auch nur zu treffen, von denen man ehrlich beeindruckt ist.
Auf einen Nenner gebracht ist es meistens gerade die Kombination aus Intelligenz und Menschlichkeit und Humor, welche die richtige Mischung bereitstellt.

virtualmono - 22. Jul, 07:43 - geändert 22. Jul, 07:43

Ich finde es momentan auch wieder total spannend, daß ich ständig neue und teils durchaus faszinierende Menschen kennenlerne :-)

OT: Bist Du denn endlich irgendwann mal wieder in D, oder muß ich die Drohung mit meinem "Gegenbesuch" wahrmachen, damit Du endlich zu Deinem Geschenk kommst das seit Monaten hier im Regal liegt?
steppenhund - 22. Jul, 08:33 - geändert 22. Jul, 08:33

Also so, wie es aussieht, kann ich momentan gar nichts über Frankfurt sagen. Ich sollte im Juli noch oben sein, aber mittlerweile bezweifle ich das bereits, weil ich bis heute noch nichts gehört habe und meine Kontaktperson im August auf Urlaub ist.
Die Drohung mit Gegenbesuch beeindruckt mich sehr. Ich fange bereits an, aufzuräumen, um mich von der besten Seite zeigen zu können. Im Ernst, ich würde mich sehr freuen, dich wieder in Wien zu sehen.
-
Ich habe momentan mehrere Schulungen in Wien zu halten. Im September bin ich in Dresden, im November in Leipzig, ein bisschen in Vorarlberg und dazwischen werde ich vielleicht tageweise wieder nach Frankfurt kommen.
-
Und ich bin noch immer gespannt auf die Neuigkeiten:)
david ramirer - 22. Jul, 08:51 - geändert 22. Jul, 08:51

wenn du den umkehrschluss anwendest (wie viele menschen kennst du denn zu 25%, 70% oder gar 90%), dann wirst du sehen, dass du selbst nicht in andere menschen so tief hineindringst, wie du es vielleicht von den anderen erwartest.
das hat mit sicherheit ökonomische gründe: jemanden wirklich kennen benötigt nicht nur zeit, es nimmt auch energie. diese energie ist in geballter form bei einer kleinen, erlesenen handvoll menschen besser aufgehoben als bei sehr vielen.
auch du selbst bist "einer von vielen"... bei einigen.
das "problem" ist also - rein mathematisch betrachtet - gar keines.

rosmarin - 22. Jul, 23:23 - geändert 22. Jul, 23:23

ja-nein....
also den ersten teil.... den dachte ich auch gerade.
wie geht es den menschen, die du kennst und magst? haben sie den eindruck, dass du sie - ganz, als person - kennst?
und nein.... es ist kein mathematisches problem und es nimmt und kostet auch keine energie. es ist einfach eine frage der inneren haltung und entscheidung.
ot: solltest du lieber vm gen vienna fliegen oder fahren.... sag bescheid... wenn der prophet nicht zum berg kommt, dann kommt halt der berg..... sagte mir vor vielen wochen mal ein freundlicher herr.
virtualmono - 22. Jul, 23:45 - geändert 22. Jul, 23:45

Ich bin der festen Uberzeugung, daß es - wie eigentlich bei allem im Leben - eine beiderseitige Geschichte ist: Wie weit öffne ich mich dem Anderen überhaupt, wieviel bin ich bereit von mir preiszugeben?

Und - ich werde auf gar keinen Fall dorthin fliegen - der Weg ist doch immer mindestens der halbe Spaß :-)
david ramirer - 23. Jul, 07:18 - geändert 23. Jul, 07:18

@rosmarin

ich sagte ja auch, dass das problem "mathematisch betrachtet" (meinetwegen auch physikalisch oder statistisch) keines ist. ;)
virtualmono - 23. Jul, 08:11 - geändert 23. Jul, 08:11

Eben ;-)

OT: Ich bin übrigens endlich dazu gekommen, das Logic-Update auf 9 zu installieren, und ich kann nur sagen: Hammer! Sie haben sämtliche Jam-Packs, die es früher für 99 Euro pro Stück zu kaufen gab mit dazugepackt, allein das rechtfertigt schon den kommoden Preis von € 169 (beziehungsweise läßt ihn geradezu lächerlich erscheinen)...
david ramirer - 23. Jul, 08:28 - geändert 23. Jul, 08:28

OT: hammercool! ... und? gibt es andere verbesserungen auch noch?
virtualmono - 23. Jul, 10:24 - geändert 23. Jul, 10:24

Yep - das UI ist jetzt auf Single-Monitor-Betrieb (am besten so ein 16:10-Teil, ich habe am Pro im Moment einen 24er) ausgelegt, es findet alles in einem großen Fenster statt. Am unteren Bildschirmrand sind Tabs, um mal eben ins Arrangement von unten den Mixer einzublenden. Die Sound-Library für die virtuellen Instrumente liegt bei Bedarf am rechten Bildschirmrand - man muß also nicht immer erst das Pluginfenster öffnen, um den Sound zu wechseln, etc. etc.... soooo hat man sich das (vor allem auch am MacBook) immer gewünscht :-)))
bleilaus - 23. Jul, 23:26 - geändert 23. Jul, 23:26

Du alter Zwillingsfisch

Heißt das jetzt, dass ich nicht aufmerksam und intellent bin oder was ;-)

virtualmono - 25. Jul, 08:14 - geändert 25. Jul, 08:14

Naaaaaja... das fehlende Fragezeichen am Ende der Frage läßt tief blicken *ggg*.

Trackback URL:
https://virtualmono.twoday.net/stories/6427022/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

ein bisschen off-topic,...
Gestern habe ich von einem Freund eine Revox B77 erstanden....
steppenhund - 7. Sep, 12:04
Das kommt davon, wenn...
Das kommt davon, wenn immer Gesetze entgegen einschlägiger...
virtualmono - 27. Jun, 10:22
wenn es um datenverarbeitung...
wenn es um datenverarbeitung und computer allgemein...
david ramirer - 25. Jun, 19:33
Die Digitalisierung...
... hat ja schon lange, sehr lange, bevor irgendein...
virtualmono - 25. Jun, 18:10
Wir melden uns (ich bin...
Wir melden uns (ich bin demnächst dort :-)).
virtualmono - 24. Jun, 11:53

Links

Networked Blogs

Suche

 

Status

Online seit 6273 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Bilder und so
Codename Mausbiber
Computerkram
Fragen über Fragen
Gelegenheitslyrik
Hier spielt die Musik
Lachgeschichten
Leider wahr
Links zwo drei vier
Netz Zwei Null
Oft und gern gehoert
T-Error
Und dann war da noch...
VM Adventskalender
VM live und in Farbe
Wie doof kann man eigentlich sein
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren